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„Es muss nicht immer der große Park sein“

„Es muss nicht immer der große Park sein“
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Der Berliner Stressforscher Mazda Adli untersucht den Zusammenhang zwischen Stadtstress und der psychischen Gesundheit von Stadtbewohnern. Seiner Erkenntnis nach können Städte Stress verursachen und uns krank machen. Sie tun uns aber auch gut. Wir hatten die Gelegenheit, mit ihm über die Bedeutung von Grünflächen im urbanen Raum zu sprechen.

BAUMEISTER : Herr Adli, Sie sind Psychiater und Stressforscher. Aus Ihrer Sicht be- trachtet: Wie wirkt sich die zunehmende Dichte in unseren Städten auf uns und unsere Gesundheit aus?
MAZDA ADLI : Diese Frage muss man differenziert betrachten. Es kommt ganz darauf an, über welche Stadt wir sprechen, wie eine Stadt wächst und wie wir Dichte definieren. Es kommt darauf an, wie sehr das Wachsen einer Stadt auch ihre soziale Struktur verändert. Natürlich muss man davon ausgehen, dass eine wachsende Einwohnerzahl eine wachsende Konkurrenz um Wohn- und Lebensraum bedeutet. Und das kann belasten und Stress hervorrufen. Dabei nimmt Dichte nicht einfach überall gleichmäßig zu, häufig sind sozial benachteiligte Gruppen zuerst betroffen. Und natürlich gilt auch: Nicht in jedem Fall ist Dichte etwas Negatives.

B : Inwiefern?
M A : Vor allem die als unkontrolliert empfundene Dichte wird zum Problem. Es gibt auch Dichte, die uns gut tut. Denken Sie nur an die Kompaktheit einer Stadt. Wenn alles fußläufig erreichbar ist, ich mein Quartier nicht verlassen, das Auto nicht bewegen muss, sondern alles zu Fuß oder mit dem Rad organisieren kann, dann hat diese Form der Dichte in vielerlei Hinsicht sehr viele positive Aspekte.

B : Was ist unkontrolliert empfundene Dichte?
M A : Enge, Over-Crowding, überfüllte Städte. Dichte ist unkontrolliert, wenn der eigene Rückzugsraum verlorengeht. Daraus entsteht Dichtestress. Im Zuge der Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Virus-Pandemie hat sich das Bild der Städte weltweit komplett verändert. Es liegen Wochen hinter uns, in denen Straßen nahezu leergefegt waren. Der Dichtestress hat sich in dieser Zeit in die eigenen vier Wände verlagert.

B : München etwa, die Stadt, in der ich lebe, hat eine hohe bauliche Dichte, die Bevölkerungszahl steigt stetig. Obwohl in München „Gemütlichkeit“ groß geschrieben wird, empfinden viele Menschen die Stadt aufgrund ihrer Dichte als stressig. Wenn Sie über Berlin, Ihre Heimat nachdenken, wie ist es da?
M A : Eine bestimmte Stadt persönlich als besonders stressig zu empfinden, das gibt es natürlich. Berlin etwa ist keine wirklich dicht bevölkerte Stadt. Wir haben hier breite Straßen, breite Bürgersteige. Jeder Berliner, der einmal nach München oder Paris oder auch Köln fährt, der merkt, wie dicht eine Großstadt sein kann, wenn Straßen plötzlich sehr viel enger werden und die Bürgersteige vorrangig dem Transit und nicht dem Verweilen dienen. Aber auch das ist innerhalb einer Stadt in unterschiedlichem Maße ausgeprägt. Es gibt in München, Paris und Köln viele urbane Räume, die zum Verweilen einladen. Aber tatsächlich ist Berlin eine Stadt, die im Hinblick auf die Qualität der Dichte sehr viel Glück hat.

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Urbane Räume wie hier vor dem Reichstag in Berlin bieten während der Covid-19-Pandemie einen Ort zum Ausgleich und machen gerade jetzt ihre Systemrelevanz deutlich. Foto: Adrien Olichon
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B : Berlin sagt man auch nach, dass es eine sehr grüne Stadt sei. Der Anteil öffentlicher Grünflächen zur Gesamtfläche beträgt nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin, etwa 10,7 Hektar. Das sind etwa 12 Prozent an der Gesamtfläche. Dann kommen noch etwa 18 Prozent Waldfläche hinzu. Die Bilanz der Stadt an Grün- und Erholungsflächen ist somit durchaus positiv, was nicht heißt, dass es nicht noch besser werden kann. Das sollte es auch, denn Grün im urbanen Raum hat positive Eigenschaften auf das Wohlbefinden der Stadtbewohner. Welche Erkenntnisse ergeben sich hierzu aus Ihrer Tätigkeit als Stressforscher?
M A : Aktuell gibt es viele Studien, die die Wirkung von Grün auf unsere Stressphysiologie untersuchen und zeigen, dass urbanes Grün dem Stress entgegenwirkt. Wie viel Grün genug ist und ob Grün gleich grün ist, ist allerdings bisher nicht gut untersucht worden. Da braucht es mehr Forschung. Wir wissen aber, dass Grünflächen in Sicht- und Kontaktweite bei Schulkindern für bessere Konzentration sorgen. Wir wissen, dass Grünflächen in der Nähe des Wohnortes das Depressionsrisiko senken können. Wir wissen, dass urbanes Grün für einen gesunden Schlaf wichtig ist. Für viele Parameter der körperlichen Gesundheit erbringt Grün einen Vorteil. Eine amerikanische Studie von 2019 hat etwa gezeigt, dass ab 20 Minuten Aufenthalt auf einer Grünfläche die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel messbar sinkt. Meine Arbeitsgruppe hat gerade eine Studie mit dem Umweltbundesamt abgeschlossen, bei der wir untersucht haben, welchen Effekt Grünflächen rund um die eigene Wohnung auf die Stressverarbeitung im Gehirn haben. Die Ergebnisse können wir hoffentlich in Kürze publizieren.

B : Diese Erkenntnisse sind vor allem auch wichtig, wenn wir über einen demokratischen, gerechten Zugang zu Grün sprechen. Nicht jeder hat Grün direkt vor der Haustür. Somit ist die Erkenntnis, dass selbst die Nähe zu urbanem Grün schon positive Effekte hat, eine, die eigentlich die Wichtigkeit von städtischen Grünflächen nur noch einmal untermauert.
M A : Was in diesem Zusammenhang vor allem interessant ist, ist die Tatsache, dass es vermutlich gar nicht mal der große Park sein muss. Sondern dass jede Form urbanen Grüns, also auch Pocket-Parks oder kleine Grünflächen entlang einer Straße, eine Wirkung auf das Wohlbefinden der Stadtbewohner haben. Hierzu brauchen wir aber noch mehr Forschung. Es gibt auch eine sehr interessante Studie aus den USA, die den Zusammenhang zwischen urbanem Grün und sozialem Verhalten untersucht hat. Sie fand heraus, dass mit dichterem Baumbestand in einer Straße, sich die Bewohner gegenseitig mehr unterstützen. Die Baumkronendichte korrelierte quasi mit dem sozialen Zusammenhalt der Menschen. Die einfachste Erklärung ist: Der Außenraum hat durch urbanes Grün mehr Aufenthaltsqualität, man geht gerne vor die Tür, kommt mit dem Nachbarn ins Gespräch, soziale Unterstützungsstrukturen bilden sich heraus. Das schützt wiederum vor sozialer Isolation – einer der großen krank machenden sozialen Stressoren. Der gesundheitsrelevante soziale Stress in der Stadt entsteht ja aus der Gleichzeitigkeit von sozialer Dichte und sozialer Isolation. Die Mischung ist problematisch, insbesondere dann, wenn der Einzelne das Gefühl hat, die Umwelt nicht den eigenen Bedürfnissen entsprechend beeinflussen zu können, sondern ihr ausgeliefert zu sein.

B : Herr Adli, Sie haben die „Charta der Neurourbanistik“ erarbeitet. Was ist Ziel dieser Charta? Was sind die Annahmen?
M A : Es geht um Handlungsempfehlungen, die aus dem Zusammenschluss von Psychiatern, Neurowissenschaftlern, Psychologen, Philosophen und Stadtforschern, Städtebauern, Architekten und Soziologen resultieren. Ziel ist es, den Einfluss des städtischen Lebensraumes auf Emotionen, Verhalten und die psychische Gesundheit besser zu verstehen und auch messbar zu machen. Die Frage ist: Was brauchen wir, damit Städte lebenswert bleiben, auch wenn sie wachsen. Und diese Frage können wir interdisziplinär beantworten. Deswegen haben wir auch das Interdisziplinäre Forum Neurourbanistik gegründet, in dem die Expertise verschiedener Fachdisziplinen zusammenfließt.

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Stressforscher Mazda Adli
© Mazda Adli
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B : Engagieren sich in diesem Forum auch Landschaftsarchitekten?
M A : Bisher nicht, aber das ist eine fachliche Erweiterung, die wir gut gebrauchen können. Wir haben aber eine Geografin unter uns, die städtische Grünräume unter Aspekten der Umweltgerechtigkeit untersucht.

B : Der Berliner Senat hat gerade eine „Charta für das Stadtgrün“ verabschiedet. Darin heißt es in etwa: Stadtgrün fördert den sozialen Zusammenhalt der Menschen, bietet Raum für das Miteinander und wirkt stressabbauend. Stadtgrün verfügt über vielfältige Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels und extremer Wetterereignisse zu lindern. Überschneiden und ergänzen sich diese Themen und Handlungsfelder? Zwei Chartas – ein Ziel?
M A : Absolut. Weil wir natürlich auch davon ausgehen, dass öffentlicher Raum, aber auch Grünflächen einen Public-Health-Auftrag haben. Grünflächen sind unbedingt schützenswert, weil sie unserer Gesundheit so zuträglich sind. Eine Stadtentwicklung, die in den Schutz und die Weiterentwicklung von Stadtgrün investiert, investiert in das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohner.

B : Wie geht gute Stadtentwicklung, wenn Städte wachsen, dichter werden?
M A : Dann brauchen sie Grün. Wichtig sind generell öffentliche Räume, weil das die Orte sind, an denen Menschen zusammenkommen. Hier findet Vernetzung und Interaktion statt, die vor sozialem Isolationsstress schützt. Hierzu gehören auch Räume der Kultur. Jedes Theater, jedes Kino ist wichtig, eben auch unter Gesundheitsaspekten. Gerade jetzt während der Pandemie erleben wir ja schmerzlich, wie sehr uns diese Orte fehlen, die sonst dazu beitragen, dass wir Alltagsstress abschütteln können, und die uns emotional aufrichten.

B : Herr Adli, zum Schluss nochmals eine Frage zu Berlin, Ihrer Heimat. Wie würden Sie die urbane Kultur der Stadt beschreiben?
M A : Berlin hat ein öffentliches Leben, das fast unabhängig von der Jahreszeit sehr intensiv unter freiem Himmel stattfindet. Man könnte Berlin als mediterrane Stadt bezeichnen. Daher haben wir in Berlin während des Lockdowns besonders deutlich gesehen, wie sehr sich die Stimmung in der Stadt verändert, wenn dieses öffentliche und offene Leben nicht mehr stattfindet. Die vielen Grünflächen und Parks in Berlin waren in dieser Zeit für viele Hauptstadtbewohner ein Glücksfall.

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Interview: Anja Koller

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Mazda Aldi ist einer der renommiertesten Stressforscher Deutschlands. Er ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs „Affektive Störungen“ an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. 2017 ist sein Buch „Stress and the City“ erschienen. 2015 hat er das Interdisziplinäre Forum für Neurourbanistik initiiert, eine Arbeitsgemeinschaft, die ForscherInnen und PraktikerInnen unterschiedlicher Disziplinen einschließt: Im Zentrum steht die Untersuchung der Wirkung von sozialem Stadtstress auf Emotionen, Verhalten und die psychische Gesundheit der Stadtbevölkerung.

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